Anna Basener spricht im Interview über ihren neuen Roman "Schund und Sühne" | 14.01.2019
Sie gelten laut ZEIT als „erfolgreichste deutsche Groschenromanautorin“. Diese Tätigkeit übt auch Ihre Protagonistin in Ihrem neuen Roman „Schund und Sühne“ aus. Wie viel von Kat steckt in Ihnen selbst?
Kat ist ein bisschen allein in ihrer Minimalismus-Welt, sie lebt in Mitte und trägt immer nur schwarz. Ich lebe in Prenzlauer Berg und trage nie schwarz … Aber sonst hat sie schon viel von mir. Sie ist nicht umsonst die einzige Ich-Erzählerin des Romans, obwohl es auch noch auktoriale Perspektiven gibt. Sie ist eine Art popliterarisches Alter-Ego von mir, durch sie kann ich die Popliteratur mit dem Groschenroman mischen. Zwei Dinge, von denen man eher nicht denkt, dass sie zusammen passen.
Wann haben Sie Ihre Vorliebe für Heftromane entdeckt? Was ist für Sie das Faszinierende daran?
Das war an der Uni, als ich für mein Vordiplom einen Cut-up-Text nach dem Vorbild der Beatpoeten gemacht habe. Ich habe „geschrieben“, in dem ich bestehende Texte zerschnitten und neu zusammengeklebt habe. Dafür hab ich Groschenromane benutzt und beim Schneiden immer mal wieder reingelesen. Ich hatte vorher noch nie so Heftchen in der Hand gehabt und an der Uni eher mit Gegenwartsliteratur zu tun. Aber dann bin ich hängengeblieben und hab weiter gelesen. Und dann dachte ich: Das kann ich auch, das ist leicht. War es nicht, aber ich wollte das unbedingt machen. Diese Mischung aus Kitsch und Regelwerk hat mich total fasziniert.
Ihr Roman betrachtet Adelsklischees mit einem Augenzwinkern. Wie kamen Sie auf die Idee, die Geschichte in der Adelswelt anzusiedeln?
Der Adel existiert in Deutschland offiziell nicht mehr. Gleichzeitig sind die Boulevard-Blätter ständig voll von Royals und auch deutschen „Adligen“. Es gibt kaum einen größeren Märchen-Mythos, als den der Prinzessin. Die Sissi-Filme werden jedes Jahr an Weihnachten von Millionen Menschen angeschaut. Ich finde die Diskrepanz zwischen der politischen Situation in Deutschland und den Boulevard-Träumen spannend, oder auch den Unterschied vom Bild der Prinzessin einerseits und der Realität der weiblichen Adligen (die übrigens historisch meistens beschissen war) andererseits. Man sagt über den Groschenroman gern, dass er die Unterschicht der Literatur ist – und dann beschäftigt er sich aber mit einer Oberschicht und gönnt sich ganz selbstbewusst so ein goldenes Cover. Das ist doch toll. Mir war immer klar, wenn ich über eine Groschenromanautorin schreibe, dann schreibe ich auch über eine Prinzessin. Das gehört einfach zusammen.
Im Buch erzählt Kat von strikten Vorgaben im Groschen- bzw. Heftroman: keine explizite Darstellung von Sex, Themen wie Drogen, Gewalt oder Politik sind stark reglementiert. Existieren diese Tabus wirklich?
Ja, die und viele mehr. Wer viele Leser erreichen will, darf so wenige von ihnen vor den Kopf stoßen wie möglich. Themen wie Religion oder die explizite Darstellung von Sexualität provozieren, und Provokation ist hinderlich, wenn man die Massen erreichen will. Wenn wir den Liebes-Groschenroman nehmen, gibt es zum Beispiel auch Regeln für das Alter oder die sexuelle Orientierung der Protagonisten, den Konflikt oder die Konfliktlösung – und es muss ein Happy End geben. Heteronormativer Mainstream eben.
In Ihrem Roman werden all diese Gebote gebrochen: Es geht um Sex, Politik, Drogen und Gewalt. Wollten Sie sich auch ein wenig freischreiben von Groschenromanklischees?
Ich hatte schon bei „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ das Gefühl, ich schreib mich frei von meiner Vergangenheit. Jetzt wollte ich vor allem eine Geschichte erzählen und mit Klischees spielen. Was mich eher interessiert hat, war die Frage: Was, wenn jetzt die echte Welt in so eine Kitschidylle einbricht? Wie realistisch kann ich werden und trotzdem Glamour und Leichtigkeit behalten?
Die Liebesgeschichte im Buch ist eher untypisch: Der Prinz Valu entpuppt sich als schwul, Kat flirtet zwischendurch mit Moritz und dieser verführt sowohl Valu als auch die Prinzessin Seph. Wie haben Sie diese Liebesgeschichte entwickelt?
Ach, das war einfach. Ich wusste von Anfang an, hier muss jetzt jeder mit jedem. Also hab ich Moritz zu einer Art Sex-Joker gemacht. Er ist die Karte, die man immer ziehen kann. So eine Figur macht großen Spaß.
Die Figur der Seph ist zunächst die einer ‚typischen‘ Prinzessin, bis sich herausstellt, dass es sich bei ihr um eine jagdlustige Frau mit einem schweren Schicksal handelt. Was hat Sie zu dieser Figur inspiriert?
In meinen Recherchen ist schnell klar geworden: der deutsche Adel und die Jagd, das ist hier die eigentliche Liebesgeschichte. Die Jagd war mal das Privileg des Adels, und daran halten die bis heute fest. Vorwiegend die Männer, und da ist eine klassische Reaktion von mir nun mal: Nicht in meinem Text, gebt der Frau ein Gewehr! Diese Prinzessin geht nicht in den Wald und singt mit den Tieren, bis die ihr beim Putzen helfen. Sie erlegt den Hirsch und nimmt ihn aus, während sie ein Unternehmen gründet. Aber natürlich kämpft sie auch mit dem Bild, dem sie entsprechen soll. Jemand hat ihr das Herz gebrochen. Sie will lieben, und findet niemanden, der sie zurückliebt. Ich wollte eine Frau zeichnen, die gleichzeitig stärker und weicher ist als Kat.
Haben Sie für Ihren Roman, ähnlich wie Kat, in deutschen Adelshäusern recherchiert?
Der Adel hat sich 1919 nicht so recht abschaffen lassen. Es gibt ihn politisch nicht mehr, aber als Gesellschaftsschicht durchaus. Circa 80.000 Adlige leben in Deutschland und jagen – und bleiben gern unter sich. Deshalb sind sie auch schwieriger zu recherchieren als Huren. Es war sehr viel leichter, an Prostituierte für mein letztes Buch ranzukommen, als an jemanden aus einem hochadligen Haus. Aber zum Glück arbeite ich für meinen Podcast „GALA Royals“ mit einer Adelsexpertin zusammen, die alles weiß, was man sich vorstellen kann. Und noch mehr.
Ihr Roman ist trotz aller Komik und Spannung auch sehr politisch und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Welche Wirkung erhoffen Sie sich bei Ihren Leserinnen und Lesern?
Ich hoffe natürlich, dass ihnen der Roman gefällt. Die leichten politischen Einschläge in der Geschichte sind notwendig für Handlung und Figuren oder auch als Gegenwartsmarkierung, aber ich will keine Message senden. Ich will mit einer Liebesgeschichte berühren, die es so noch nicht gab.
Am Ende kommen dann doch ein paar Klischees: Es endet mit einem Familiendrama und einer Verlobung. Letztlich doch eine Liebeserklärung an den Groschenroman?
Auf jeden Fall! Es ist eine Verneigung vorm Kitsch, dem Klischee und dem Groschenroman. Alle unterschätzt!
Worauf legen Sie beim Schreiben wert?
Meinen Schreibtisch. Er ist der perfekte Ort zum Schreiben, und ich kann nur ganz schwer woanders arbeiten. Auch wenn es immer heißt, wir Freiberufler wären ja auch örtlich ungebunden. Ich bin das nicht. Komplette Abhängigkeit.
Wird aus jeder Ihrer Ideen ein Buch oder verwerfen Sie manche auch wieder?
Ich verwerfe selten ganz bewusst. Ich lasse Sachen irgendwann einfach „in der Schublade“, aber da könnte man ja theoretisch auch immer noch mal wieder bei … Ich steh auch oft vor der Frage, ob die Idee wirklich ein Roman ist oder nicht eher ein Hörspiel. Oder ein Drehbuch? Oder ein Theaterstück? Oder eine Podcastfolge? Oder ein Tweet?
Welche Bücher lesen Sie privat gerne?
Biographien von KönigInnen oder FürstInnen, Sachbücher über Mode und natürlich auch Romane. Aber dieses Jahr bin ich quasi nicht zum Lesen gekommen, wenn das Buch nicht unmittelbar mit einem Projekt von mir zu tun hatte.